Informationen zu Psychopharmaka und Mutismus
Im Vergleich zu den Vorjahren erleben wir in den Gesprächen mit Eltern verstärkt die Frage nach Psychopharmaka – SSRI (engl.: selective serotonin re-uptake inhibitor, deutsch: selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) – also Antidepressiva zur Behandlung von Mutismus.
Es gibt keine wissenschaftliche Forschung zu Psychopharmaka bei Kindern mit Mutismus.
Dass Therapie ohne Psychopharmaka bei selektivem oder totalem Mutismus erfolgreich sein kann, zeigt die MUTARI®-Methode.
Klärende und hilfreiche Informationen zur Psychopharmaka
DAK-Report 2019
Im November 2019 wurde eine Analyse von rund 800.000 jungen DAK-Versicherten mit Schwerpunkt „Depression und Angststörung“ veröffentlicht.
Laut dieser Studie zeigt jedes vierte Schulkind psychische Auffälligkeiten. Zwei Prozent leiden an einer diganostizierten Depression, ebenso viele unter Angststörungen. Hochgerechnet sind insgesamt etwa 238.000 Kinder in Deutschland im Alter von 10 bis 17 Jahren so stark betroffen, dass sie einen Arzt aufsuchen. Im Vergleich von 2016 zu 2017 ist die Depressionshäufigkeit 2017 um 5 Prozent angestiegen.
Depressionen und Angststörungen zählen nach Einschätzung der WHO zu den schwerwiegendsten Leiden in der Gruppe der psychischen Erkrankungen. Laut Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit treten beide Diagnosen häufig parallel auf. So hat fast ein Viertel (24 Prozent) aller depressiven Mädchen zusätzlich eine Angststörung – Mutismus ist in der ICD 11 als eigenständige Angststörung genannt. Bei Jungen sind es 17 Prozent.
Depressive Jugendliche bekommen regelmäßig Antidepressiva
Mehr als jedes vierte Mädchen und jeder sechste Junge im Alter zwischen 15 und 17 Jahre nimmt ein entsprechendes Antidepressiva. Angststörungen werden hingegen seltener medikamentös therapiert; nur halb so viele Jugendliche mit Angststörungen bekommen Medikamente verschrieben (sieben Prozent aller Jungen und elf Prozent aller Mädchen.
Depressive Kinder und Jugendliche in der Psychiatrie
Acht Prozent aller depressiven Kinder zwischen zehn und 17 Jahren kommen innerhalb eines Jahres in die Psychiatrie, durchschnittlich für 39 Tage. Fast jedes vierte behandelte Kind wird innerhalb von 2 Jahren mehrfach stationär behandelt.
Durch den Aufenthalt in der Psychiatrie erfahren die Kinder eine Stigmatisierung und sie befinden sich für einen längeren Zeitraum außerhalb des Schul- und Familienalltages. „Die Stigmatisierung, die sich mit einem langen Aufenthalt in der Jugendpsychiatrie verbindet, ist für die Betroffenen eine zusätzliche Belastung. Eine Rehospitatiliserungsquote von 24 Prozent ist alarmierend“, sagt Andres Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit.
Wollen Sie weiterlesen https://www.dak.de/dak/bundesthemen/kinder–und-jugendreport-2169366.html
Immer mehr Kinder erhalten Psychopharmaka
Eine alarmierende Nachricht aus dem Zeitschrift „Kinder-Spezial“ Ausgabe 48:
Wir zitieren: Zwischen 2005 und 2012 habe der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die mindestens ein Antipsychotikum erhielten, um 41 Prozent zugenommen, berichten die Forscher. Der Anstieg sei vor allem auf Verordnungen von so genannten atypischen Antipsychotika wie Risperidon und Quentiapin zurückzuführen (+ 129 Prozent) und er betreffe vor allem die 10 bis 19-jährigen männlichen Jugendlichen. Risperidon ist zur symptomatischen Kurzzeitbehandlung von anhaltenden Aggressionen und Verhaltensstörungen ab einem Alter von fünf Jahren bei verzögerter mentaler Entwicklung zugelassen; Quentiapin (9.5 % der Verordnungen) hat keine Zulassung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen.
Beispielsweise wird das am häufigst verschriebene Antipsychotikum Risperidon in 61.5 Prozent der Fälle bei ADHS verordnet und bei 35.5 Prozent wegen Störungen des Sozialverhaltens, obwohl es für diese Diagnosen nicht zugelassen ist und auch die Leitlinien diese Medikation nicht empfehlen. Risperidon ist zugelassen zur Therapie schwerer und chronischer schizophreniformer und schizoaffektiver Störungen, zur Behandlung manischer Phasen sowie zur Kurzzeitbehandlung (bis zu sechs Wochen) von langanhaltender Aggression bei zwei Zielgruppen: erstens bei selbst- und fremdgefährdenden Personen mit Alzheimer-Demenz nach Ausschöpfung anderer Therapiemöglichkeiten und zweitens bei geistig behinderten Kindern ab mindestens fünf Jahren und Jugendlichen mit Verhaltensstörung. Es besitzt keine nachgewiesene phasenprophylaktische Wirkung.
EMA warnt vor SSRI/NaRI bei Kinder und Jugendlichen
„Die europäische Zulassungsbehörde EMA (European Medicines Agency) hat die Bewertung zu Antidepressiva aus der Gruppe der Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme Inhibitoren (kurz SSRI genannt) und der Noradrenalin-Wiederaufnahme Inhibitoren (NaRI) abgeschlossen.
Dazu empfiehlt EMA den Zulassungsbehörden der Mitgliedsländer stärkere Warnhinweise beim Einsatz dieser Psychopharmaka bei Kinder und Jugendlichen zu veranlassen.
Daher empfiehlt EMA jetzt, dass detailliert auf das mögliche Risiko von Suizidversuchen (Selbstmordversuche) oder -gedanken oder feindliches Verhalten (Aggression, oppositionelles Verhalten oder Wut) hingewiesen wird. Die deutschen Fachinformationen haben derzeit in der Regel den Hinweis, dass der Einsatz mangels klinischer Erfahrungen unterbleiben sollte. Die Hinweise sollen in den Fachinformationen zu Medikamenten mit den Wirkstoffen Italopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Mianserin, Milnacipran, Mirtazapin, Paroxetin, Reboxetin, Sertralin und Venlafaxin erscheinen.
FDA (The Food and Drug Administration, USA) – Warnung 2003: Berichte über Suizidalität bei Kindern, die mit Psychopharmaka wegen schwerer Depression behandelt werden.
Dementsprechend macht die FDA auf die Fallberichte über die Suizidalität (Selbstmord) bei Kindern, die mit Antidrepressiva wegen schwerer Depression behandelt werden, aufmerksam.
Wissenswertes zu Psychopharmaka
Serotonin ist ein Botenstoff, wirksam u.a. im Gehirn (Neurotransmitter). Es wird auch als „Glückshormon“ bezeichnet, da es bei guter körperlicher und seelischer Verfassung vermehrt vorkommt, bzw. bei depressiver Verstimmung eine niedrigere Konzentration gemessen wird. Eine Steigerung des Serotoninspiegels führt zu Stimmungsaufhellung. Seine Wirkung entfaltet das Serotonin maßgeblich im synaptischen Spalt, also im Übergangsraum von Nervenzelle zu Nervenzelle.
Dementsprechend sollen Serotoninwiederaufnahmehemmer verhindern, dass Serotonin aus dem Spalt wieder in die Zellen aufgenommen wird. Hierdurch wird der ursprüngliche Mangel nicht behoben. Eventuell fehlt dem Körper dadurch sogar der Impuls Serotonin zu bilden. Reduziert sich der Impuls und wird das Mittel abgesetzt, ist es denkbar, dass sich die psychische Verstimmung stärker zeigt (wie oben beschrieben). Daher ist die Behandlung mit SSRI meist auf längere Zeit ausgerichtet, denn, so schreibt das klinische Wörterbuch Pschyrembel zu SSRI: „Wirkungseintritt erst nach mehreren Wochen.“
Welche Langzeitwirkung SSRI – Psychopharmaka auf die seelische und körperliche Entwicklung von Kindern bewirkt, ist nicht einzuschätzen.
Süddeutsche Zeitung vom 21. August 2008 „Kinder als Versuchskaninchen“
… Arzneimittel müssen vor der Marktzulassung egal in welchem Land auch an Menschen getestet werden. Medikamente an Kindern zu testen, ist für die Pharmaindustrie allerdings noch relativ ungewohnt. Es ist noch nicht lange her, dass selbst Säuglinge wie Erwachsene behandelt wurden und nur weniger Wirkstoff verabreicht bekamen. Die Erkenntnis, dass Patienten im Baby-Alter mitunter ganz andere Medikamente benötigen, eröffnete den Pharmaherstellern einen neuen Markt, zwang sie aber auch zu Tests an Kindern. Weil sich aber in den Industrieländern kaum Eltern finden lassen, die bereit sind, ihre Kinder für solche Versuche zur Verfügung zu stellen, weichen die Konzerne in ärmere Länder aus….“
Weiterführend Links
EU-Kinderverordnung für alle EU-Mitgliedstaaten: Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert Kindern Zugang zu Arzeinimmtel zu geben, die speziell für die Anwendung bei Kindern entwickelt wurden. Ziel soll sein, dass der Gebrauch von Off-Label Arzneimittel (Medikamente die für Kinder nicht zugelassen sind) bei Kindern reduziert wird. Zur Zeit liegt die Quote von Off-Label Medikamenten bei Kindern bei 50%.
https://dsv-europa.de/de/news/2017/11/kinderarzneimittel-bericht.html
Literatur
„Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen“ Peter C. Götzsche, Riva-Verlag ISBN 978-3-86883-756-8
„Die Kinderkrankmacher“ Beate Frenkel/Astrid Randerath, Herder Verlag ISBN 9783451311987