Soziale Phobie
Der griechische Arzt Hippokrates beschrieb schon in der Antike einen Mann, den man
„wegen seiner Schüchternheit, wegen seines Argwohns und seiner Furchtsamkeit kaum zu sehen bekam; der die Dunkelheit wie sein Leben liebte und weder Helligkeit ertragen noch an beleuchteten Plätzen sitzen konnte, der – den Hut über die Augen gezogen – weder andere sehen noch von ihnen angeschaut werden wollte. Er mied jeden Kontakt aus Angst, schlecht behandelt zu werden, sich zu blamieren oder in seinen Gebärden oder durch sein Reden aus dem Rahmen zu fallen, oder sich übergeben zu müssen. Er glaubte sich von jedermann beobachtet….“
Der Begriff „soziale Phobie“ (von phóbos, deutsch Furcht, Schrecken) wurde 1903 vom französischen Psychiater Janet beschrieben. Die soziale Phobie in ihrer modernen Form wurde 1966 von den englischen Psychiatern und Verhaltenstherapeuten Marks und Gelder erstmals definiert, später weiter ausgearbeitet und 1980 in das offizielle amerikanische Diagnoseschema (DSM-IV) aufgenommen und seit Mitte der 1990er-Jahre im ICD-10, dem internationalen Diagnoseschema (ICD), verankert.
Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD10-10) führt sie unter „Phobischen Störungen“ auf. Im diagnostischen und statistischen Leitfaden psychischer Störungen (DSM-IV) wird sie unter „Sozialer Angststörung“ geführt. Die offizielle Anerkennung als Krankheit hat beigetragen, dass die Diagnose häufiger gestellt wird.
Soziale Phobie und Forschung
Man meint, dass ADHS/ADS die Krankheiten sind, die Kinder in Deutschland am stärksten quälen. Tatsächlich sind Ängste und Verhaltensauffälligkeiten die häufigsten psychischen Probleme.
Viele Angsterkrankungen beginnen bereits in der Kindheit und Jugend. Dies trifft insbesondere für die spezifischen Phobien und die soziale Phobie zu. Der selektive Mutismus als psycho-soziale Angststörung, kann sich schon ab dem dritten Lebensjahr zeigen. Früh beginnende Angsterkrankungen erhöhen das Risiko, im weiteren Verlauf des Lebens andere psychische Erkrankungen zu entwickeln.
Definition
Die Soziale Phobie ist eine „Situationsangst“. Sie bezieht sich auf Handlungen die sich unter den Augen von Drittpersonen abspielen. Handlungen die von diesen Personen beobachtet und kritisiert werden könnten. Die Angst äußert sich nicht nur in Ängsten vor z.B. öffentlichen Auftritten, Prüfungen sondern überwiegend in Alltäglichkeiten. Alltäglichkeiten wie in Gegenwart anderer das Wort ergreifen, essen, trinken, auf das WC gehen, schreiben, telefonieren, die Angst einen Kindergarten, eine Schule, ein Geschäft betreten zu müssen.
„Es handelt sich um ein starkes Angsterleben, das sich sowohl auf schulische und berufliche Situationen als auch auf Freundschaften und Beziehungen beziehen kann“, sagt Johannes Peter Wolters, Vorstand des Verbandes der Selbsthilfe Soziale Phobie (VSSP gem. e.V.).
Wissenschaftler der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt/M. berichteten 2011 (Dt. Ärzteblatt Heft 10/Oktober 2011; Seite 440), dass eine Studie mit 600 Jugendliche aus verschiedenen Schulen ergab, dass 13 % der Befragten Merkmale einer sozialen Phobie zeigten. „Diese psychische Störung ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen im Jugend- und Erwachsenenalter, wobei soziale Ängste mit einem hohen Risiko für einen vorzeitigen Schulabbruch einhergehen“, erläutern die Wissenschaftler. „Außerdem haben die Jugendliche Schwierigkeiten Freundschaften aufzubauen oder später beruflichen Erfolg zu haben.“
Eine sehr kleine amerikanische Forschung zu „Mutismus im Jugendalter“ legte offen, dass Jugendliche mit mutistischem Verhalten seit Kindheitstagen an sozialer Isolation, Einsamkeit, kaum beruflichen Perspektiven, Depressionen litten.
Als Reaktion auf die Angst folgt häufig ein Vermeidungsverhalten bezüglich der angstbesetzten Situationen ein, denn es wird befürchtet, dass die Angst auftreten könnte. Die Angst wird vorweggenommen und die Situationen so umgedeutet, dass die Angst bestätigt wird. Dadurch nehmen soziale Verhaltensdefizite zu. Das negative Selbstbild wird bestätigt und es beginnt ein Circulus vitiosus der Angst.
Diagnostische Kriterien der Sozialen Phobie nach ICD-10
Um die Diagnose „Soziale Phobie“ stellen zu können, muss eines der beiden Kriterien erfüllt sein:
- Deutliche Furcht davor im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten.
- Deutliche Vermeidung von Situationen bei denen befürchtet wird im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder bei denen die Angst besteht sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten.
Zusätzlich müssen zwei der folgenden Angstsymptome in den gefürchteten Situationen eintreten:
- Vegetative Symptome (Herzklopfen, Schweißausbrüche, Mundtrockenheit)
- Symptome, die Brustkorb und Bauch betreffen (Atembeschwerden, Beklemmungsgefühl, Übelkeit)
- Psychische Symptome (Schwindelgefühle, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit, Angst vor Kontrollverlust)
- Allgemeine Symptome (Hitzewallungen oder Kälteschauer, Gefühllosigkeit oder Kribbelgefühle)
Eines der folgenden Symptome sollte ebenfalls aufgetreten sein:
- Erröten oder Zittern
- Angst zu Erbrechen
- Miktions- und Defäkationsdrang oder Angst davor.
Ausschlusskriterien bei sozialer Phobie
Ausschlusskriterien sind Halluzinationen oder andere Symptome der Störungsgruppen der organischen psychischen Störungen, durch Schizophrenie und verwandte Störungen, durch affektive Störungen oder durch eine Zwangsstörung.
Soziale Phobie und Mutismus
Mutistische Kinder vermeiden, nicht immer, in der Öffentlichkeit zu essen und zu trinken. Zum einen ist dieser Vorgang mit Geräuschen verbunden (schlucken, abbeissen, kauen) und somit eine Lautäußerung und zum Anderen eine soziale Situation in der Bewertung (wie und was trinkt/ißt das Kind) stattfindet.
Ebenso verhält es sich mit den körperlichen Ausscheidungen. Kinder mit Mutismus gehen sehr ungern, häufig überhaupt nicht in der Öffentlichkeit auf das WC. Die Geräusche, die dort evtl. entstünden, wären Lautäußerungen des Körpers. Mutistische Kinder, die in Kindergärten/Schulen in „offene“ WC`s gehen müssen, werden gehört und das soll vermieden werden. In diesen Situationen besteht ebenfalls die Möglichkeit einer Bewertung oder Abwertung.
Links
Bundesverband der Selbsthilfe Soziale Phobie gem. e.V. – VSSP-Selbsthilfe-Beratungstelefon von Betroffenen für Betroffene und Angehörige https://www.vssp.de
Deutsche Angst-Hilfe e.V. und Herausgeber der Zeitschrift Die Angst-Zeitschrift (daz). Sie ist die einzige Zeitschrift im deutschsprachigen Raum, die sich dem Themenschwerpunkt Angst und Angsterkrankungen in seiner Vielschichtigkeit widmet. https://www.angstselbsthilfe.de/daz/
The European Social Anxiety Association stands for the idea of connecting people that suffer from social anxiety from all over Europe
wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Phobie
Literatur zum Thema Ängste – soziale Phobie
Fachbücher:
Hans Hopf „Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen“ Diagnose, Indikation, Behandlung; Verlag: Brandes & Apsel
Horst-Eberhard Richter „Umgang mit Angst“; Verlag Hoffmann und Campe
Fritz Riemann „Grundformen der Angst„; Ernst Reinhardt Verlag
Kinderbücher:
„Hurra, ich habs geschafft“ erschienen im Verlag Gerstenberg für Kinder unter 3 Jahre; „Dieser Bildband mit wenig Text und netten Bildern ist für Kinder ein großer Spaß. Es macht ihnen Freude, den Weg der Schnecke zu verfolgen…..“
„Das Freundesuchgerät“ erschienen im G & G Verlag für Kinder ab 4 Jahre; „Wer Freunde hat, ist gut dran. Das weiß auch Leonardo, der geniale Erfinder. Aber was tun, wenn man hasenseelenallein ist? Ganz klar: ein Freundesuchgerät muss her! Leonardo beginnt eifrig….“
„mutig, mutig“ erschienen im Atlantis Verlag für Kinder ab 5 Jahre; „Vier Freunde machen einen Wettkampf: Wer erfindet die verrückteste Mutprobe und besteht sie selbst. Alles fängt auf einem Spielplatz an: Maus, Schnecke, Spatz und der Frosch sind am Teich zusammengekommen und plötzlich ist die Idee für das Wettspiel da. Wer ist der Mutigste von allen?“
Weitere Lektüre
„Der Adler, der nicht fliegen wollte“ erschienen im Peter Hammer Verlag für Kinder ab 4 Jahre und Erwachsene ebenso; „Ein Mann fängt einen Adler und zieht ihn mit den Hühnern auf. Der Adler lebt schließlich wie die Hühner, kratzt wie die Hühner … bis eines Tages ein naturkundlicher Mann…..“
„Mein Buch vom Angsthaben“ erschienen im Fischer Verlag für Kinder ab 6 Jahre und auch für Erwachsene geeignet. „Ein beeindruckendes Bilderbuch mit vielen Ausstanzungen, ausfaltbarer Landkarte und weiteren Extras über die Angst.“
„Der Besuch“ erschienen im Moritz Verlag für Kinder ab 6 Jahre und auch für die Erwachsenen eine gute Lektüre. „Elise ist eine ängstliche, menschenscheue Frau. Sogar vor Bäumen fürchtet sie sich. Als aber eines Tages ein Papierflieger durch ihr Zimmerfenster segelt, kann sie nachts vor Aufregung kein Auge zutun. Am nächsten Morgen klopft Emil….“