Schweigen im Kindergarten
Gerade war noch alles in Ordnung, beim gemeinsamen Frühstück hat Laura gelacht, geredet, erzählt. Auf dem Weg zum Kindergarten spricht sie mit der Mutter und dem Vater; wenige Meter vor dem Kindergarten verstummt sie plötzlich. Im Kindergarten, in welchen sie seit 2 Jahren geht, spricht sie kein Wort, weder mit den Erzieherinnen noch mit den Kindern. Versteinert steht sie, beobachtet das Spielgeschehen ohne sich aktiv zu beteiligen. Wird sie zufällig angesprochen, senkt sie den Blick, wendet sich ab und die langen blonden Haare fallen ihr ins Gesicht und bedecken es.
Wenn sie von der Mutter oder dem Vater abgeholt wird, können sie sehen, wie ihre Tochter isoliert ist. Verlassen Sie gemeinsam den Kindergarten, sprudelt es aus ihrer Tochter heraus, alles hat sie beobachtet, alles kann sie nachspielen, alle Lieder hat sie sich gemerkt und sie singt diese auf dem Heimweg vor. Morgen, das wissen die Eltern, wird ihre Tochter wieder auf dem Weg zum Kindergarten erzählen und wieder über Stunden stumm, im Kindergarten, sein.
Aufgewühlt und voller Sorgen rufen die Eltern im Beratungszentrum für Mutismus an. Sie erhoffen sich im vertrauensvollen Gespräch mit Frau Emmerling Aufklärung über die Besonderheit ihrer Tochter.
Verhaltensweisen von mutistischen Kindern
Selektiver Mutismus, das Schweigen in bestimmten Situationen, ist eine psycho-soziale Angst. Die Angst hemmt das Kind, sich verbal in bestimmten Situationen zu äußern. Diese sprachliche Blockade kann sich in erstarrter Mimik, leerem Blick, eingeschränkten Gesten fortsetzen. Weitere Persönlichkeitsbesonderheiten des mutistischen Kindes können abweichendes Essverhalten, Ein- und Durchschlafstörungen sowie dominantes und aggressives Verhalten (meist nur im häuslichen Bereich) sein.
Geschlechterverhältnis bei Mutismus
Mädchen sind deutlich mehr von Mutismus betroffen als Jungen. Untersuchungen ergaben ein Geschlechterverhältnisvon 1.2 : 2. Das MBZ vermutet eine viel höhere Dunkelziffer, denn die Kinder fallen durch ihr Schweigen weniger auf. Erzieher und Pädagogen kennen den Begriff „elektiver oder selektiver Mutismus“ häufig nicht und deuten das kindliche Verhalten eher als Sturheit, Trotz oder extreme Schüchternheit. Mutismus ist die Angst mit Menschen zu Sprechen; Schüchternheit ist die Angst vor Menschen zu sprechen.
Diagnostik und Therapie
„Zwischen Erkennen der Angststörung Mutismus und Therapiebeginn vergehen jedoch in der Praxis häufig bis zu 5 Jahre.“(Prof. Steinhauser Uni-Zürich)
Weil Mutismus häufig falsch gedeutet wird, verzögert sich oft die Diagnostik und der Start einer wirkungsvollen Therapie. Es ist durchaus denkbar, dass das betroffene Kind schweigend die Kindergartenzeit und die Grundschulzeit meistert, spätestens in den höheren Klassen geschieht neben dem sozial-emotionalen oft auch ein kognitiver Einbruch. Kinder, die sich nicht am Unterricht beteiligen, nicht nachfragen und die sich ständig kontrollieren um nicht zu sprechen, um keinen Laut von sich zu geben, deren Energiekapazität bricht mehr und mehr ein. So kann es geschehen, dass bei durchaus gutem kognitivem Potential das Kind zunehmend lernschwach wird.